Die Telematikinfrastruktur kommt und der Fragen gibt es viele: muss ich mich mit meiner Praxis ans Internet anschließen (ja), entstehen mir dadurch zusätzliche Kosten (wahrscheinlich) und was bringt mir das Ganze (nun ja…). Die Antworten sind verstreut, teilweise nicht einfach zu finden und dann nicht immer einfach zu verstehen.
Anfänge in grauer Vorzeit
Begonnen hat das Projekt bereits im letzten Jahrhundert als Folge eines Arzneimittelskandals, bei dem Interaktionen zu einigen Todesfällen geführt hatten. Hätte man, so die damaligen Überlegungen, für einen Patienten eine vollständige Übersicht aller von ihm eingenommenen Arzneimittel in elektronischer Form, könnte man gefährliche Interaktionen sofort überprüfen und vermeiden. Verschiedene Konzepte wurden erwogen und wieder verworfen. Eine Speicherung in einer zentralen Datenbank wurde von der Ärzteschaft aus Datenschutzgründen abgelehnt, dazu fürchtete man den Zugriff durch die Kostenträger. Nach langen Diskussionen schlug eine von namhaften Beratungsunternehmen durchgeführte Studie schließlich eine elektronische Gesundheitskarte vor, auf der alle verschriebenen Medikamente gespeichert werden sollten.
Eingeführt werden sollte diese Versichertenkarte (die eGK in der heute vorliegenden Form) schon Anfang 2006. Das Projekt scheiterte aber am Widerstand der Ärzteschaft, die insbesondere datenschutzrechtliche Bedenken gegen eine zentrale Speicherung der Patientendaten vorbrachte. Die Haltung der Ärzteschaft veränderte sich über die Jahre nicht und wurde 2011 vom Deutschen Ärztetag noch bekräftigt, der feststellte, dass “das eGK-Projekt nicht geeignet ist, eine moderne, sichere, patienten- und arztdienliche elektronische Kommunikation im Gesundheitswesen zu befördern”.
Um mit dem Projekt dennoch voranzukommen, wurden im gleichen Jahr die geplanten Funktionen der Karte als elektronisches Rezept und elektronische Patientenakte gestoppt. Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) wurde schließlich im Jahr 2014 flächendeckend von den Kostenträgern in Umlauf gebracht. Sie wird seitdem nur zur Speicherung der Versichertendaten verwendet, ist aber eigentlich dazu ausgelegt, weitere Funktionen zu unterstützen.
Telematik-Infrastruktur
Schon relativ früh in den Planungen war klar, dass nicht alle medizinischen Daten eines Patienten oder einer Patientin auf der Karte Platz finden würden, da ihr geringer Speicherplatz für die Datenmenge einer ganzen Akte nicht ausreichen würde. Um mehr Daten zu einem Patienten zu speichern, benötigt man eine zentrale IT-Infrastruktur, in der Patientendaten auf zentralen Servern abgelegt werden. In diesem Szenario dient die Karte gleichsam als Schlüssel zu den zentral gespeicherten Patientendaten. Eine solche zentrale IT-Infrastruktur eröffnet zugleich die Möglichkeit, alle Leistungserbringer im Gesundheitswesen miteinander zu vernetzen. Arztpraxen, Psychotherapeuten, Apotheken, Krankenhäuser, andere Gesundheitsfachberufe und die Krankenkassen sollen damit schnell und sicher Daten austauschen und auf die aktuelle medizinische Dokumentation ihrer gemeinsamen Patienten zugreifen. So wurde die ursprüngliche Idee, Daten ausschließlich auf der Versichertenkarte zu speichern, zugunsten einer umfassenden Telematikinfrastruktur erweitert. Als zentrale IT-Plattform soll sie eine ganze Reihe neuer Anwendungen ermöglichen.
VSDM – Versichertenstammdatenabgleich
Der Versichertenstammdatenabgleich VSDM ist die erste Anwendung der Telematikinfrastruktur. Sie soll einen großen Nachteil der bisher verwendeten Versichertenkarten beheben: bei Änderungen der auf ihnen gespeicherten Daten muss aktuell jedesmal eine neue Karte erzeugt und ausgegeben werden. Endet das Versichertenverhältnis, ist nicht sichergestellt, dass die Versichertenkarte nicht doch weiter benutzt wird, und Karten werden sogar verliehen oder verkauft, um Leistungen zu erschleichen – jedes Jahr entstehen den Kostenträgern so Schäden in Milliardenhöhe. Mit dem Versichertenstammdatenabgleich sollen diese Missstände eingedämmt werden. Dazu werden neue Kartenlesegeräte direkt mit der Telematikinfrastruktur verbunden. Beim Einlesen einer Versichertenkarte können deren Daten direkt an den Kostenträger übermittelt und von diesem aktualisiert werden. Der Kostenträger übermittelt die aktuellen Daten des Versicherten zurück an das Lesegerät, wo sie auf die Karte geschrieben werden. Erst danach wird der Datensatz an die Arztsoftware übergeben und verarbeitet. Geplant ist, dass der ganze Vorgang in wenigen Sekunden erfolgen soll, um den Praxisablauf nicht zu stören. In den bisherigen Testläufen konnte dieser Anspruch aber noch nicht erfüllt werden.
NFDM – Notfalldaten-Management
Der Notfalldatensatz soll Patientinnen und Patienten die Möglichkeit bieten, freiwillig bestimmte Gesundheitsdaten auf der Versichertenkarte zu speichern. In Notfallsituationen können Ärztinnen und Ärzte diese Daten mithilfe eines Lesegerätes und ihres elektronischen Heilberufsausweises von der eGK abrufen. Die Daten können zusätzlich auch von Angehörigen anderer medizinischer Berufe wie Rettungsassistenten mit einem elektronischen Berufsausweis abgerufen werden. Die Zustimmung des Patienten ist für das Lesen der Daten im Notfall nicht erforderlich.
Der elektronische Notfalldatensatz soll ab 2018 für Patientinnen und Patienten zur Verfügung stehen. Bisher wurde aber nur ein papierbasierter Test durchgeführt, der insbesondere gezeigt hat, dass Erstellung und Pflege der NFD einen hohen Zeitaufwand bedürfen.
Elektronisches Rezept
Verordnet eine Arztpraxis zukünftig Arzneimittel, soll dafür kein Verordnungsblatt mehr gedruckt werden. Verordnungen sollen vielmehr in der Arztpraxis direkt auf der Versichertenkarte gespeichert und in der Apotheke gelesen werden. Dadurch werden die derzeitig bestehenden Medienbrüche und damit verbundene Übertragungsfehler vermieden. Die elektronische Gesundheitskarte bietet dazu Platz für 8 Rezepte, die direkt im Speicherchip der Karte abgelegt werden können. In den Praxistests hat sich jedoch gezeigt, dass die Erstellung eines elektronischen Rezeptes zeitaufwändiger ist als die eines Papierrezeptes. Grund ist die auch weiterhin bestehende Notwendigkeit, die Echtheit der Verordnung durch eine “Unterschrift” zu bestätigen. Beim elektronischen Rezept wird hierzu eine “elektronische Signatur” verwendet – Arzt oder Ärztin erzeugen für jede Verordnung eine zusätzliche verschlüsselte Prüfdatei, mit der der Empfänger die Echtheit und Herkunft der Verordnung überprüfen kann. Dazu müssen sie sich für jede Verordnung mittels ihres elektronischen Arztausweises und der Eingabe einer PIN-Nummer am Lesegerät authentifizieren. Da aktuell keine befriedigende Alternative existiert, wurde die Einführung des elektronischen Rezeptes erst einmal bis 2019 zurückgestellt.
Elektronischer Medikationsplan
Zusätzlich zum elektronischen Rezept können Patienten auf Wunsch die Daten ihrer Arzneimittel auf der Versichertenkarte ablegen lassen. Dies ermöglicht Arztpraxen und Apotheken, auf die Daten zuzugreifen, diese zu aktualisieren und Interaktionsprüfungen durchzuführen. Die Prüfung der Arzneimitteltherapiesicherheit selbst würde dann in den jeweiligen Systemen der Arztpraxen und Apotheken durchgeführt werden. Mittlerweile gibt es aber bereits Weiterentwicklungen wie die Arzneitmittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN), bei denen die Medikation nicht mehr auf der Karte, sondern auf Servern der Kostenträger gespeichert werden, die so eine verbesserte Steuerung der Verordnung unter qualitativen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten anstreben. Als Zwischenschritt hin zu einem einheitlichen elektronischen Medikationsplan dient der im Frühjahr 2017 eingeführte papierbasierte bundeseinheitlichen Medikationsplan.
Ausblick
Die Informationstechnologie entwickelt sich in einem rasanten Tempo weiter – daher ist ein IT-System mit einer derart langen Entwicklungszeit bereits bei seiner Einführung technisch veraltet. Als die das Konzept der Telematikinfrastruktur entwickelt wurde, waren Smartphones noch nicht erfunden, und Internet-Zugänge nicht so selbstverständlich wie heute. Der Möglichkeit für Patienten, ohne jeweilige Freigabe durch ihre Ärztin oder ihrem Arzt selbst auf ihre Daten zuzugreifen, wurde überhaupt nicht berücksichtigt. Die Sicherheitsmechanismen wurden nicht durch softwareseitige Verschlüsselung, sondern auf einem speziellen Sicherheitschip implementiert, der einen regelmäßigen Tausch der Komponenten erfordert. Aktuell gibt es daher Überlegungen, bestimmte Funktionen wie die elektronische Patientenakte durch andere Lösungen außerhalb der TI zu realisieren.
Die Grundfunktionen – aktuell vor allem der Versichertenstammdatenabgleich – werden aber wie im eHealth-Gesetz festgeschrieben mit Fristverlängerung bis Ende 2019 eingeführt werden. RED medical hat die Anbindung umgesetzt und dafür im Mai 2018 die Konformitätsbescheinigung der Gematik erhalten. Aktuell erfolgt gerade die Einführung in den ersten Praxen. Dabei arbeitet RED mit beiden verfügbaren Konnektoren (Telekom und Compugroup) zusammen.