Die besondere Rolle der ärztlichen Schweigepflicht für Praxisnachfolger
Gemäß § 203 StGB gilt, dass Ärztinnen und Ärzte die anvertrauten Geheimnisse ihrer Patienten nicht an Dritte offenbaren dürfen – sonst droht eine Freiheits- oder Geldstrafe. Diese ärztliche Schweigepflicht besteht gegenüber fast allen Personen. Hinlänglich bekannt ist, dass Ärztinnen und Ärzte beispielsweise auch gegenüber Ehepartnern oder Eltern volljähriger Kinder zu Schweigen verpflichtet sind. Weniger bekannt ist, dass die strengen Datenschutz-Anforderungen auch gegenüber anderen Ärzten und Zahnärzten gelten. Dieser Umstand ist im Falle einer Praxisübergabe bzw. eines Praxisverkaufs besonders zu beachten.
Der Patient alleine soll entscheiden, welche Geheimnisse er weitergibt und welche er für sich behält, und wem er diese anvertraut. Im medizinischen Bereich gehört dazu praktisch alles – nicht nur die Art einer vorliegenden Verletzung oder Erkrankung, der Unfallhergang oder Krankheitsverlauf, sondern auch die Tatsache, dass überhaupt ein Behandlungsverhältnis zu einer bestimmten Person bestanden hat oder alle übrigen Informationen, die dem Arzt oder Therapeuten während des Behandlungsverhältnisses bekannt wurden. Beim kollegialen Austausch darf daher ein Sachverhalt eigentlich nur so verallgemeinert wiedergegeben werden, dass Rückschlüsse auf die Person oder die Identität des Patienten oder Dritten nicht möglich sind. Die beispielhafte Vorstellung einer “Patientin, 74 Jahre, seit 10 Jahren fortschreitender Diabetes, jetzt KHK neu aufgetreten” überschreitet dabei nach Ansicht einiger Datenschützer schon die Grenze des Zulässigen, da damit bereits eine Profilbildung und darüber ggf. mit Vorwissen doch ein Rückschluss auf die Person möglich wird.
Möchte man mit einer Kollegin oder einem Kollegen personenbezogene Details austauschen, müsste man sich dafür eigentlich eine explizite Einwilligung des Patienten oder der Patientin geben lassen, etwa in Form eines Behandlungsvertrages oder einer Schweigepflichtentbindung. Diese muss nach § 203 StGB und §§ 182, 183 BGB bereits vor der Datenweitergabe vorliegen, bedarf der Schriftform und muss gemäß § 4a Abs. 3 BDSG auflisten, welche Daten weitergegeben werden dürfen. Der Patient oder die Patientin muss die Bedeutung und Tragweite dieser Entscheidung überblicken, eine im Wesentlichen zutreffende Vorstellung davon haben, worin er bzw. sie einwilligt und dies aus freiem Willen und mit voller Einsichts- und Urteilsfähigkeit tun. Jede Pflichtverletzung gegenüber dem Patienten oder Dritten kann neben der strafrechtlichen Ahndung auch noch zu einem Schadensersatzanspruch führen, wenn diesem durch die Verletzung ein materieller oder immaterieller Schaden entstanden ist.
In der Praxis wird natürlich, durchaus im Interesse des Patienten, regelmäßig dagegen verstoßen. Bei Überweisungen zu einem anderen Arzt oder Einweisung in ein Krankenhaus wird in der Regel von einer Schweigepflichtentbindung ohne ausdrückliche Genehmigung ausgegangen. In diesem Sinn legt auch § 9 Abs. 4 der Muster-Berufsordnung fest, dass Ärzte, die gleichzeitig oder nacheinander denselben Patienten untersuchen oder behandeln, untereinander von der Schweigepflicht befreit sind, sofern das Einverständnis des Patienten vorliegt oder anzunehmen ist. Eine solche konkludente bzw. stillschweigende Einwilligung setzt die Annahme voraus, dass der Patient aufgrund der Umstände von einer Informationsweitergabe durch den Arzt an Dritte ausgehen muss und nicht widerspricht.
Darüber hinaus ist eine sog. mutmaßliche Einwilligung gegeben, wenn der Patient oder die Patientin beispielsweise aufgrund von Bewusstlosigkeit nicht befragt werden kann, aber davon auszugehen ist, dass er bzw. sie im Fall der Befragung mit der Offenbarung einverstanden wäre. Mit der Annahme einer Einwilligung begibt man sich allerdings in eine juristische Grauzone – ein Gericht wird im Zweifel immer prüfen, ob nicht doch die Möglichkeit bestand, den Patienten oder die Patientin vor einer strittigen Maßnahme tatsächlich zu befragen und eine explizite Datenschutz-Einwilligungserklärung zu erlangen.
Hürden bei der Praxisübergabe
Übernimmt eine Ärztin oder ein Arzt eine Praxis im Rahmen einer Nachfolge, gilt die ärztliche Schweigepflicht des Vorgängers bzw. der Kollegen aus bestehenden Behandlungsverhältnissen auch gegenüber dem Praxisnachfolger. Ähnliches gilt, wenn eine bestehende Gemeinschaftspraxis durch Aufnahme einer bisherigen Einzelpraxis erweitert oder eine überörtliche Berufsausübungsgemeinschaft gegründet wird. Auch hier kann nicht ohne weiteres angenommen werden, dass die Patienten mit einer gemeinsamen Behandlung durch die Mitglieder der Gemeinschaftspraxis einverstanden sind.
In diesen Fällen verlangt die Rechtsprechung, dass die Patientenkarteien zunächst getrennt bleiben müssen und nur dann zusammengeführt werden dürfen, wenn der Patient der gemeinsamen Behandlung ausdrücklich zugestimmt hat. Der Bundesgerichtshof vertritt die Auffassung, dass sich die Arzt-Patienten-Vertrauensbeziehung nicht ohne Weiteres auf einen Praxisnachfolger übertragen lässt und eine Übertragung der Patientenkartei ohne eindeutige und unmissverständliche Datenschutz-Einwilligung der Patientinnen und Patienten in die Weitergabe der sie betreffenden Akten grundsätzlich unwirksam ist. Es reiche nicht aus, die Patienten allgemein, beispielsweise durch vorherige oder begleitende Hinweise, durch entsprechende Schilder, in der Tagespresse oder auf mündlichem Wege auf die Praxisübergabe hinzuweisen.
Strenger Datenschutz in der Praxis: Das verbirgt sich hinter dem “Zwei-Schrank-Modell”
Vor Übergabe der Patientenkartei müssten daher von sämtlichen Patienten schriftliche Einwilligungen erlangt werden, was beispielsweise bei verstorbenen Patienten nicht möglich ist. Mangels klarer Handlungsanweisungen durch den BGH wurde in der Praxis das sogenannte “Zwei-Schrank-Modell” entwickelt. Danach behält der Vorgänger auch bei einer Veräußerung der gesamten Praxis grundsätzlich die informationsrechtliche Verfügungsbefugnis an der bestehenden Patientendokumentation und verlagert diese in einen verschlossenen Schrank, zu dem der Nachfolger keinen Zugang hat. Dieser verwahrt die Dokumentation des Vorgängers, der fallbezogen Akten übergibt, wenn ein Patient oder eine Patientin die Behandlung beim Nachfolger fortführt und das Einverständnis zur Einsichtnahme schriftlich erklärt hat.
Juristisch unterscheidet dieses Modell zwischen dem generellen Gewahrsam an dem Gesamtaktenbestand und der daten-/patientenschutzrechtlich wesentlich sensibleren konkreten Einsichtnahme. Da der Vorgänger das Eigentum an der Patientenkartei sukzessive an den Nachfolger überträgt, müsste dies durch eine entsprechende Klausel im Kaufvertrag berücksichtigt werden. Eine Vertragsklausel, die eine Weitergabe der Daten ohne Zustimmung der Patienten vorsehen, kann selbst bei Bestehen einer salvatorischen Klausel unwirksam sein, wenn die Patientenkartei im Kaufvertrag gesondert ausgewiesen wird und einen bestimmten Anteil des Gesamtkaufpreises übersteigt.
Das “Zwei-Schrank-Modell” eignet sich nicht für digitale Anwendungen
Für die in einem Praxisverwaltungssystem (PVS) gespeicherten Daten würde das Zwei-Schrank-Modell bedeuten, dass der Altbestand vor dem Zugriff durch den Nachfolger oder die Nachfolgerin geschützt werden muss. Erlaubt das eingesetzte System die Zugriffssteuerung mittels Rechtesystem, sind entsprechende Zugriffsbeschränkungen auf die bestehenden Daten einzurichten. Andernfalls muss für den Nachfolger eine neue leere Datenbank eingerichtet werden. Liegt die Zustimmung von Patienten vor, müssen der Zugriff auf ihre Daten patientenbezogen freigegeben oder ihre Daten aus der alten in die neue Datenbank übertragen werden. Der ärztliche Schweigepflicht auf diesem Wege nachzukommen, ist aufgrund technischer Beschränkungen der eingesetzten Systeme teilweise gar nicht umsetzbar und in jedem Fall mit enormem Verwaltungsaufwand verbunden.
So gelingt die Praxisübergabe auch in der Praxissoftware
Das praktikabelste Vorgehen scheint ein langfristiger Übergang zu sein, bei dem Käufer und Verkäufer zunächst eine Gemeinschaftspraxis gründen, in der der Praxisnachfolger oder die Nachfolgerin für die Patienten erkennbar auftritt, verbunden mit dem möglichst weitgehenden Einholen der Zustimmung der Patienten zur gemeinschaftlichen Behandlung und der generell empfehlenswerten Einrichtung von Zugriffsbeschränkungen in den verwendeten IT-Systemen.